«Eine ruhige Hand und reine Seele»
Willi, Heubi, Heuwilli oder Rülps, wie ihn seine Freunde liebevoll nennen, ist seit vielen Jahrzehnten weltweit der bekannteste Produzent von Carbon-Wurfarmen. Sein Wissen um die Kohlenstofffasern sucht seinesgleichen. Die Erfahrung lässt der Unteregger seit zehn Jahren auch in die Produktion seiner einzigartigen Carbon-Skier einfliessen. Mass statt Masse lautet sein Credo. Ein Interview mit einem liebenswürdigen, lebensfrohen und eigenwilligen Ostschweizer aus dem Wilden Osten.
Wir treffen den 75-jährigen Willi Heuberger zusammen mit seinem Freund Hansruedi Stoll nach einem kurzen Spitalaufenthalt in seinem «Budeli» in Untereggen im Wilden Osten. Der Service sei gemacht für die kommenden 20 Jahre, meint Heuberger lakonisch. Immerhin habe er dem Arzt einen Ski verkaufen können. Der Schalk ist dem St.Galler Handwerker ins Gesicht geschrieben. Willi erinnert an das kleine, wilde Mannli, das von einem bösen Zauberer in sein Budeli verbannt worden war, um Grossartiges zu erschaffen. Nach zwei Stunden Gespräch spürt man: Er hat den Fluch besiegt, möchte aber gar nicht mehr weg.
Von der Skipiste ins Spitalbett. Hast du zumindest den Winter geniessen können?
Die wenigen Tage, an denen ich auf der Piste war, genoss ich in vollen Zügen. Im Wilden Osten habe ich hervorragende Verhältnisse vorgefunden. Doch die viele Arbeit führte zu relativ wenigen Skitagen. So ist es halt.
Dann lief das Geschäft mit den Skiern im vergangenen Winter?
Ich bin sehr zufrieden ja – einige weitere Millionen sind drin. Nein, Spass bei Seite. Aber ich habe wirklich so viele Skier verkauft wie noch nie. Die Menschen schätzen das Handwerk, das Persönliche, die Swissness im Produkt. Natürlich könnte man immer noch mehr produzieren: Aber wie erwähnt. Das frisst alles an meiner Freizeit. Zudem baue ich immer noch Modelsegel-Flugzeuge und Wurf-Arme für Pfeilbögen.
Du erwähnst es: Heute Pfeilbogen-, Modelsegel- und Skibauer. Früher Schreiner, Pilot und Segler. Wilde 75 Jahre, die du erlebt hast.
Meine Energie und der Erfindergeist haben mich zeitlebens begleitet. Als Kind war ich bereits unglaublich aktiv und schnell. Am Zürichsee aufgewachsen, bewunderte ich die anderen Dorfbuben wegen ihrer Grösse und Kraft. Und trotzdem bin ich ihnen auf der Skipiste davongefahren. Mich betörte alles, was nach Abenteuer roch. Später machte ich die Lehre zum Schreiner, verspürte gleichzeitig den Drang zum Fliegen. Trotz Widerstand meiner Eltern legte ich das Segelflugzeug-Brevet ab und wurde Lehrer für die Theorieprüfung.
Heute bist du zurück auf dem Festland und steuerst nur noch Modell-Flieger über die Hügel und Wälder im Wilden Osten. Warum?
Auf einem Einführungsflug als Kunstflieger kam es zu Turbulenzen und ich bin fast abgestürzt. Glücklicherweise brachte ich das Flugzeug zurück auf den Boden, fiel vor den Experten aber gleich in Ohnmacht. Ich hatte genug von den Lüften, ging in eine Werft und baute aus Zedernholz olympische Zweimannkielboote. Schon damals experimentierte ich mit neuen Klebetechniken und Kunststoffen. Dann bekam ich Ärger mit dem Chef, und kündigte. So folgte die Geschichte mit Pfeilen, Bögen und Skier – alles aerodynamische Wunderwerke. Eines hat mir mein Leben eindrücklich gezeigt: Ich kann der Beste sein in dem, was ich gerne tue. Und ich bin schlecht in dem, was ich nicht mag.
Du hast dich schon vor 30 Jahren mit dem Werkstoff Carbon beschäftigt. In einer Zeit, in der dieses Material praktisch gänzlich unbekannt war. Was fasziniert dich daran?
Es ist ein wunderbares Material in Bezug auf Präzision, Festigkeit, Dynamik und Langlebigkeit. Diese Eigenschaften besitzt kein anderer Werkstoff und sie kommen gerade auf der Piste besonders zur Geltung. Wenn ich jeweils sehe, was die herkömmlichen Skifirmen alles in ihre Latten packen, stehen mir die Nackenhaare zu berge – Schaumstoff, Sägespäne, Gummi. Preis und Leistung stehen da in keinem Verhältnis.
Und trotzdem: Wenn die Top-Skifahrer gegeneinander antreten, sind es keine Fabrikate Heubergers. Warum?
Vor einigen Jahren kam das SRF Wissenschaftsmagazin Einstein zu mir und hat die Probe aufs Exempel gemacht. Meine Wurf-Arme führten zu einer 30% höheren Pfeilgeschwindigkeit. Die Präzision des Materials ist beachtlich. Genauso verhält es sich mit den Skiern – das haben mir namhafte, ehemalige Weltcup-Fahrer:innen bestätigt. Im Profisport geht es aber nun mal ums Geld. Die Ski-Firmen haben Top-Stars unter Vertrag. Da kann ich als Einmann-Betrieb nicht mithalten. Weder in Bezug aufs finanzielle noch auf die Anzahl Skier, die pro Athleten gebraucht werden. Marco Odermatt allein hatte an den Olympischen Spielen 50 Latten zur Auswahl. Das ist meine Dreijahres-Produktion.
Wir leben in einer wilden wirtschaftlichen Zeit. Die Lieferengpässe setzen der Industrie im Wilden Osten stark zu. Wie sieht es beim Carbon aus?
Ich habe meine Quellen, und die sprudeln kräftig weiter. Pro Jahr verbaue ich rund 400 Quadratmeter Carbon, gewoben und veredelt in der Schweiz. Das tönt nach viel, ist aber im Gesamtkontext der Industrie eine Lappalie. Meine regionalen und nationalen Lieferanten schauen gut zu mir – auch in den vergangenen Monaten.
Du bist mittlerweile 75 Jahre alt. Wer soll dannzumal dein Handwerk übernehmen?
Das ist noch offen. Man findet keine jungen Fachkräfte mehr, die sich ein solches Hobby leisten und derart wenig verdienen möchten. Das ist der Lauf der Zeit. Ich hatte schon das eine oder andere Mal begeisterte, junge Handwerker in meinem «Budeli», die mitgeholfen haben. Am Anfang sind alle begeistert, aber mein Perfektionismus bringt alle auf die Palme.
Was fehlt denn den heutigen Fachkräften?
Man muss mit den verschiedenen Materialien umgehen können. Es braucht eine gewisse Ehrfurcht, bei dem, was man herstellt. Schliesslich braucht man eine Begeisterung, eine ruhige Hand und eine reine Seele. Gerade die ständige Flucherei am Arbeitsplatz geht in die Materialien rein. Das spürt der Konsument nachher. Vielfach sind es aber auch Eltern, die scheinbar unrealistische Zukunftsvorstellungen an ihre Sprösslinge stellen. Kindesträume können durch unbedachte, ablehnende Kommentare in den hintersten Winkel verbannt werden. Und grosse – auch handwerkliche Karrieren – scheitern.
Abschlussfrage: Du lebst in einer wunderschönen Region im Wilden Osten, hoch über Rorschach, zwischen St.Gallen und dem Bodensee. Was schätzt du an dieser Region?
Ich habe hier oben in der Tat alles, was ich brauche. Ich setze mich als Mitglied der Naturschutzkommission dafür ein, dass die Schönheit der Region erhalten bleibt. Ich freue mich darauf, nach meiner Operation endlich wieder die Hügel der Region zu erklimmen. Und vielleicht verirrt sich mal ein Nachfolger hier rauf, und wird mein Lebenswerk in irgendeiner Art weiterführen. Das würde ich mir wünschen.