«Das ist auch für unser Unternehmen die grösste Herausforderung»
Wie sehr belastet der Fachkräftemangel die Ostschweiz? Klar ist: Das Problem zieht immer weitere Kreise. Die LAPP Tec in Diessenhofen prüft verschiedene Lösungsansätze, wie Geschäftsführer Roman Germann im Interview erklärt.
1998 wurde die LAPP Tec mit dem Standort Diessenhofen erweitert. Wie wichtig ist heute der Wirtschaftsstandort Ostschweiz für Sie?
Als Teil einer international tätigen Unternehmensgruppe mit gegen zwanzig Produktionsstandorten weltweit – Indien, Südkorea, Amerika, Europa – hat der Produktionsstandort in der Schweiz die Wettbewerbsfähigkeit im weltweiten Vergleich zu beweisen. Der Produktionsstandort hat sich einerseits durch das Vorhandensein einer Vielzahl von kompetenten Unternehmen der Spritzgussindustrie in der Region sowie durch die Nähe zum Mutterhaus in Stuttgart ergeben. Für uns als Unternehmen bietet die Ostschweiz die Vorteile des grossen Netzwerkes an verschiedenen Unternehmen der Kunststoffbranche, des dichten Netzes an verschiedenen Aus- und Weiterbildungsinstitutionen, aber auch die Nähe zur Grenze zum Beispiel zur Rekrutierung von Mitarbeitenden.
Pro Jahr werden nun über 200 Millionen Kunststoffteile hergestellt, fast 1’000 Tonnen Kunststoff-Granulat verarbeitet. Wie hat sich die Arbeit über all die Jahre verändert und entwickelt?
Das Geschäftsvolumen hat sich in den letzten sechs Jahren verdoppelt. Dies ist auch darauf zurückzuführen, dass wir unsere Tätigkeiten in neue Geschäftsfelder ausgeweitet haben und neue Technologien zum Einsatz bringen. Eine hohe Automatisierung, aber auch die Ausdehnung der Maschinenstundenleistung durch neue Arbeitsschichtmodelle haben sowohl im Personalbestand, in der erforderlichen Personalqualifikation wie auch in der Organisation zu teilweise sehr grossen Veränderungen geführt.
Nachhaltigkeit und der Umweltgedanke sind in aller Munde und ein grosses Thema. Merken Sie das am Absatz Ihrer Produkte, dass versucht wird, weniger Kunststoff zu verbrauchen?
Insbesondere im Bereich der Verpackungstechnologie spüren wir die aktuelle Skepsis gegenüber «Plastik». Gleichzeitig stellen wir auch fest, dass Entscheidungen seitens unserer Abnehmer beziehungsweise derer Endkunden sehr stark durch die sogenannte «Bauchgefühlökologie» und weniger faktenbasiert geprägt sind. Im Bereich der technischen Produkte nehmen wir weiterhin ein deutliches Wachstum von Kunststoff-Lösungen und die steigende Nachfrage nach neuen Lösungen für neue Einsatzgebiete wahr. Aktuell ist es die grösste Herausforderung, die Versorgung an Kunststoff-Rohmaterial sicherzustellen, um kurz- bis mittelfristig lieferfähig zu bleiben.
Wie müssen Sie auf solche Themen reagieren, um am Ball bleiben zu können?
Gemeinsam mit Partnern forschen und entwickeln wir intensiv an sogenannten «Bio-Plastik» Lösungen. Des Weiteren ist der Einsatz von recyceltem Ausgangsmaterial für die Produktion ein wichtiger Ansatz. Generell geht es darum, den Einsatz des Wertstoffes Kunststoff so effizient wie nur möglich zu gestalten – Minimierung des Materialeinsatzes, Abfallvermeidung und Rückführung in den Kreislauf der Wiederverwertung.
Corona hat die vergangenen zwei Jahre geprägt. Wie war die Situation bei Ihnen? Worin lagen die grossen Herausforderungen?
Zu Beginn der Pandemie war die grösste Herausforderung, den sehr kurzfristig Tatsache gewordenen, massiven Auftragseinbruch zu bewältigen. Mit der Einführung von Kurzarbeit wie auch mit der Inanspruchnahme der COVID-Hilfskredite wurde die wirtschaftlich schwierige Situation abgefedert. Von Ausfällen von Mitarbeitenden infolge von COVID-19 waren wir sehr wenig betroffen, die krankheitsbedingten Abwesenheiten haben sich im Vergleich zu den Vorjahren nur minimal vergrössert. Die verordneten Massnahmen wurden umgesetzt, ohne die Leistungsfähigkeit des Unternehmens im Allgemeinen vor grössere Herausforderungen zu stellen. Für die Mitarbeitenden mit körperlichen Tätigkeiten in der Produktion war das Maskentragen eine Erschwernis, die jedoch akzeptiert wurde. Das Arbeiten im Homeoffice wurde nur in einem sehr eingeschränkten Masse umgesetzt, da die überwiegende Anzahl unserer Mitarbeitenden in der Produktion oder in enger Zusammenarbeit mit der Produktion engagiert sind. Technisch waren wir für Homeoffice bereits vor Corona vorbereitet, da wir nur Laptops als Arbeitsstationen einsetzen und der Zugriff von extern auf unsere IT-Systeme für die entsprechenden Mitarbeitenden bereits früher gewährleistet war.
Nicht nur Corona, sondern auch der Fachkräftemangel beschäftigt die Ostschweiz. Wie sieht die Situation bei Ihnen aus?
Der Fachkräftemangel ist auch für unser Unternehmen die grösste Herausforderung und das Thema, welches uns für die Zukunft das grösste Kopfzerbrechen bereitet. Insbesondere der Umstand, dass wir unsere Produktion im Dreischichtbetrieb betreiben, steigert die Herausforderung, Fachpersonal jederzeit verfügbar zu haben. Die steigende Automation in der Produktion sowie die Digitalisierung unserer Unternehmensprozesse federt den Druck in Teilbereichen ab, schafft jedoch in anderen Bereichen neue Aufgaben.
Mit welchen Massnahmen versuchen Sie, gutes Personal an das Unternehmen zu binden oder neues dazuzugewinnen?
Einerseits fördern wir gezielt die multikulturelle Zusammensetzung unserer Belegschaft, achten dabei jedoch auf eine Ausgewogenheit in den Teams und dem Gesamtunternehmen.
Aktiv setzen wir uns sehr stark für die Förderung von weiblichen Mitarbeitenden, insbesondere in den MINT-Berufen wie auch in den Führungspositionen ein. Wir erachten diesen Weg als ein strategisches Schlüsselelement. Im Bereich der Führungspositionen haben wir sowohl in der Produktion wie auch im Gesamtunternehmen einen 50 Prozent-Anteil von weiblichen Führungskräften erreicht.
Wie sieht es im Bereich der Ausbildung aus?
In der Ausbildung von Lernenden konnten wir bereits erfolgreich Kunststofftechnologinnen durch ihre Ausbildung begleiten. Die Ausbildung ist bei uns generell ein weiteres wichtiges Pfand, um gutes Personal zu halten oder dazuzugewinnen. Wir verpflichten uns als Unternehmen, fünf Prozent der Gesamtarbeitszeit in die Aus- und Weiterbildung unserer Mitarbeitenden zu investieren.
Gibt es weitere Lösungsansätze?
Wir bieten allen Mitarbeitenden die Möglichkeit, in Teilzeit zu arbeiten. Dies wird heute von gegen 20 Prozent der Mitarbeitenden genutzt. Darunter befinden sich Führungskräfte, aber auch Mitarbeitende aus der Produktion, welche im Schichtbetrieb arbeiten. Wichtig sind uns jedoch auch Aktivitäten und Angebote, welche die allgemeinen Rahmenbedingungen betreffen – wie beispielsweise FELFEL Verpflegungsangebot, die finanzielle Unterstützung der ÖV Nutzung oder 60 Prozent Arbeitgeberanteil BVG. Aber auch unsere regelmässig Firmenanlässe, wie jährlich stattfindende Ausflüge finden bei den Mitarbeitenden sehr guten Anklang und fördern gleichzeitig das Betriebsklima.
Neue Massnahmen, um ein Unternehmen attraktiver zu machen, sind gerade jetzt oft in den Schlagzeilen – beispielsweise mit einer Vier-Tage-Woche. Wie offen gehen Sie mit solchen Neuerungen um?
Wir haben Ende 2021 ebenfalls ein Projekt gestartet, um die Lösungsansätze für die Vier-Tage-Woche zu prüfen und auch zu klären, inwieweit dieser Ansatz für unsere Mitarbeitenden von Interesse ist. Auch das Arbeiten im Homeoffice nutzen Mitarbeitende aus den Bürobereichen gerne. Der Trend ist klar zunehmend.