Transparenz: Unternehmen sollen Mut beweisen
Die AVM Engineering AG aus dem St.Gallischen Dietfurt hat so gar nichts mit dem Vorurteil des zugeknöpften Toggenburgers zu tun. Wir begegnen einer modernen Firma, in der man über fast alles spricht: Transparenz heisst das Schlagwort der Stunde. Lohntransparenz, Bonustransparenz, Leistungstransparenz. Ein bemerkenswertes Gespräch mit dem Geschäftsführer Marcel Widmer, der aus Überzeugung sagt: «Nur dank dieser Transparenz-Politik finden wir die richtigen Mitunternehmer*innen.»
«130’000 Franken pro Jahr als Fixlohn ohne Bonus.» Den Transparenz-Test hat Marcel Widmer, Geschäftsführer der AVM Engineering AG, bei der Einstiegsfrage zu seinem Salär souverän bestanden und ergänzt schmunzelnd: «Spannender wäre die Frage nach meinen Arbeitsbedingungen, dem Pensum, der Pensionskassenlösung, der Arbeits- und Ferienzeit sowie des Versicherungsschutzes. Aber hier ticken die Bewerberinnen und Bewerber häufig gleich: Die Frage nach dem Lohn steht an erster Stelle.» Der grossgewachsene Toggenburger Unternehmer ist offen und ehrlich. Was er nicht mag, sind heisse Luft und leere Worte. Wenn er von Transparenz spricht, dann nimmt man es ihm ab – mit jeder Silbe. Für Widmer ist es schon fast eine ideologische Angelegenheit.
Interessante Arbeit, Wertschätzung und Flexibilität
«Seien wir ehrlich: Es wird nirgends so viel gelogen, wie bei den Diskussionen über den Lohn. Im Verein, am Stammtisch oder im Znüni», so Marcel Widmer. Diese Intransparenz führe am Schluss häufig zu Neid, Misstrauen und falschen Annahmen. «Das sind Stimmungen, die niemand innerhalb der Belegschaft haben möchte, oder?», fügt er rhetorisch an. Seit er vor 17 Jahren sein Software-Unternehmen für Antriebs-, Regelungs- und Steuerungstechnik von Maschinen gegründet hat, gehört Transparenz zu seinen Kernanliegen. «Nebst der namentlichen Erwähnung von Kandidaten auf Besucherlisten zeigen wir unserer Belegschaft auch Buchhaltung und Abschlüsse, sprechen über Investitions- und Entwicklungsvorhaben, holen Meinungen ein und geben langjährigen Mitarbeitenden die Chance, sich finanziell mit dem Kauf von Aktien an der Firma zu beteiligen.» Diese Offenheit und die damit verbundenen Möglichkeiten sind für ihn die Basis für Verständnis, Vertrauen und Motivation. Seine 50-köpfige Belegschaft dankt es ihm. Der Gegencheck auf den geläufigsten Bewertungsplattformen von Unternehmen zeigt: Die AVM Engineering trumpft gross auf.
Talentschmiede AVM
Wie steht es bei einer solch angesehenen Firma um die Anzahl offenen Stellen resp. um den Fachkräftemangel? «Sie stellen eine Standard-Frage, die für uns nicht relevant ist.» Widmer hält wenig von klassischen Stellenausschreibungen: «Budgetdenken, vorgeschriebene Stellenprozente und geplante Mitarbeiterzahlen passen weder zu unserer Kultur noch zu unserem Verständnis.» Was die AVM Engineering sucht, sind Talente und «Menschen, die zu uns passen – das ist wichtig. Wir entwickeln Fachkräfte frisch ab Schule oder auch berufserfahrene Profis, wenn ihnen unsere Philosophie zusagt. Entsprechend unserer personellen Möglichkeiten setzen wir dann mehr oder weniger Projekte um.» Und wenn die Gehaltsforderung eines Talentes überrissen sind? «Dann mache ich darauf aufmerksam, dass die Anstellungsbedingungen einfach der Lohnforderung angepasst würden.» So entstehe automatisch die richtige Diskussion über das Gesamtpaket.
Der Wunsch nach mehr Frauen
Wir fassen zusammen – Transparenz in allen Bereichen, Förderung von Talenten, die Möglichkeit, die eigene Rolle zu finden und mitzugestalten, Mitunternehmertum, Eigenverantwortung, Leidenschaft, Engagement und Interesse. Tönt stark. Dennoch: Ein Punkt wurmt den Unternehmer. «Drei Frauen auf 50 Mitarbeitende – und diese arbeiten nicht im Kern-Know-how Bereich – das würde ich gerne ändern.» Was läuft schief? «Bei rund 400 Bewerbungen in den letzten 10 Jahren waren 5 Frauen an einem Job bei der AVM Engineering interessiert – das ist die traurige Realität.» Das Problem ist bereits in der Grundausbildung der Automatiker, Elektriker oder Elektroniker akut. Hier gäbe es hoch gerechnet 5-10 Prozent Frauen. Im späteren Studium in Elektrotechnik, Maschinenbau oder Softwareentwicklung reduziere sich das auf tiefe, einstellige Prozentwerte. Entwicklungs-möglichkeiten für weibliche Talente bei der AVM Engineering gäbe es jedoch allerhand – bis hin zur finanziellen Beteiligung.
Den Anschluss behalten
Unser Gedankenaustausch neigt sich dem Ende zu – Widmer zieht es auf den Tennisplatz. Eine letzte Frage stellt sich zum Arbeitsort Dietfurt – ein Dorf im Herzen des Wilden Ostens. Bis vor Kurzem war die ehemalige Stickerei-Hochburg Sinnbild einer blechernen Schlange zwischen Wil und Wildhaus. Mit der Umfahrungsstrasse habe sich die Situation gebessert. Zum Glück. «Die Region hat mittlerweile fast alles, was für Fachkräfte spannend ist. Eine hohe Lebensqualität, finanzierbare Eigenheime für junge Berufsleute, attraktive Arbeitsbedingungen und eine langfristige Perspektive», schwärmt Widmer. Handumkehrt mahnt er zu Vorsicht: «Wir müssen weiterarbeiten und dürfen den Anschluss gerade im wichtigen Bereich der Infrastruktur nicht verlieren, und müssen z.B. Glasfaseranschlüsse oder gute öffentliche Verkehrsanbindungen gewährleisten können.» Mit dem Blick auf die Berge äussert Marcel Widmer einen abschliessenden Wunsch: «Touristisch gesehen ist unsere Region umwerfend. Wenn nur dieser Streit um die Bergbahnvorherrschaft im oberen Toggenburg aufhören würde. Dann könnten wir endlich auch ein gemeinsames und attraktives touristisches Gesamtpaket einführen. Was wiederum Fachkräfte im Wilden Osten anziehen könnte.»